Newsletter Juli 2015

«Die Erfahrungsmedizin braucht kompetente Schulen»

Während sich in der Erfahrungsmedizin momentan alles um die neuen Berufsabschlüsse dreht, stehen sie eher im Hintergrund: die Schulen, welche die Therapeuten von morgen ausbilden. Ein Gespräch mit Hein Zalokar, Mitglied der Schul- und Geschäftsleitung der Heilpraktikerschule Luzern und Präsident des Verbands Schweizer Naturheilkunde-Schulen VSNS, über die Rolle der Schulen und die Umsetzung der neuen Berufsbilder.

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Hein Zalokar (*1975) ist seit 2003 Mitglied der Schul- und Geschäftsleitung der Heilpraktikerschule Luzern und seit 2006 Präsident des VSNS.

Herr Zalokar, was sind Ihre Aufgaben als Präsident des Verbandes Schweizer Naturheilkunde-Schulen VSNS?

Als Präsident des VSNS versuche ich, übergeordnet zu denken und den Verband so zu steuern, dass wir unserem Ziel, die Komplementärtherapie und Alternativmedizin zu einer gesunden, eigenständigen Branche zu entwickeln, Schritt für Schritt näher kommen. Dazu braucht es meiner Meinung nach sowohl kompetente Schulen als auch starke Verbände.

Ein Schritt in diese Richtung sind die neuen eidgenössisch anerkannten Berufsbilder, die von den beiden Organisationen der Arbeitswelt Alternativmedizin OdA AM und Komplementärtherapie OdA KT in den letzten Jahren vorangetrieben wurden. Als Delegierter vertrete ich bei beiden Organisationen die Interessen der 21 Schulen, die dem VSNS angeschlossen sind. Ich finde es sehr wichtig, dass die Schulen an dem Prozess der Berufsentwicklung mitgewirkt haben. Denn es ist unser Job, die Lehrpläne hinterher in der Schule umzusetzen. Dabei kommt es für uns darauf an, dass die Umsetzung sowohl aus didaktischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht machbar ist. Darüber hinaus sehe ich mich immer auch als «Anwalt der Studierenden», denn deren Interessen stehen eher nicht im Fokus der Berufsverbände. 

Wie stehen die Studierenden an Ihrer Schule zu den neuen Berufsbildern?

Grundsätzlich sind unsere Studierenden sehr aufgeschlossen gegenüber den neuen Berufsbildern. Das liegt aber vermutlich auch daran, dass wir an der Heilpraktikerschule Luzern schon vor einem Jahr begonnen haben, die Studierenden individuell zu beraten. Dabei geht es zuerst um die Frage «Höhere Fachprüfung Ja oder Nein?»

Entscheidet sich der Student für den eidgenössischen Abschluss, dann besprechen wir, wie er dieses Ziel erreicht: Kann er die Übergangsregelung in Anspruch nehmen oder wechselt er gleich in das neue Ausbildungsmodell? Dank des modularen Aufbaus unserer Ausbildungen stehen meist beide Optionen offen. Ich finde es wichtig, dass die Schüler schon jetzt informiert werden und sich zügig entscheiden. 

Welche Rolle spielen Praktika bei Ausbildungen im Bereich Komplementärtherapie und Alternativmedizin?

Grundsätzlich sind Praktika zu begrüssen. Man muss jedoch von Ausbildung zu Ausbildung unterscheiden, ob ein Praktikum sinnvoll ist und ob es sich realisieren lässt. So geht zum Beispiel eine Ausbildung in Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) ohne Praktikum in meinen Augen schlichtweg an den aktuellen Erfordernissen vorbei: Ein Praktikum wird sowohl vom Berufsverband SBO-TCM als auch von vielen Kantonen gefordert.

In der TCM und bei anderen grossen Medizinkonzepten wie der Traditionellen Europäischen Naturheilkunde TEN findet man bereits vernünftige, realisierbare Praktikumskonzepte. So kann ich als TCM-Praktikant bei einer Anamnese dabei sein und dann – während der Therapeut eine Akupunkturbehandlung durchführt – eine Ernährungsempfehlung oder eine Heilkräutertherapie für den Patienten ausarbeiten.

Bei anderen Methoden ist die Praktikumsgestaltung eher schwierig, einfach weil die erforderlichen Rahmenbedingungen nicht existieren. Zum Beispiel arbeiten die Praktikanten bei einer Ausbildung in Physiotherapie oder zum Medizinischen Masseur in einem klinischen Betrieb mit und sind dort voll integriert. Diese Möglichkeit haben wir bei anderen Ausbildungen nicht: Bei Shiatsu beispielsweise kann ich entweder die Behandlung durchführen oder ich schaue zu. Zuschauen ist jedoch nicht der Sinn eines Praktikums, deshalb braucht es hier andere Konzepte.

Wie reagieren die Schulen auf die neuen Berufsbilder?

Unterschiedlich. Für uns als Verband findet momentan fast so etwas wie eine Zeitenwende statt. Die Berufsentwicklung ist mit den neuen Berufsabschlüssen praktisch abgeschlossen und jetzt geht es darum, den Beruf umzusetzen. Das ist Aufgabe der Schulen. Jede Schule muss sich nun fragen, ob sie die neuen Abschlüsse in ihr Angebot aufnehmen möchte oder nicht. Diese Umstellung kann für die einzelnen Schulen eine grosse Herausforderung sein, nicht zuletzt auch aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Deshalb sehen wir zurzeit alle möglichen Varianten: Manche Schulen behalten einfach ihr bisheriges Angebot bei, andere setzen komplett auf die neuen Berufsabschlüsse und wieder andere bieten sowohl das eine als auch das andere an.

Der VSNS arbeitet seit einigen Jahren mit dem EMR zusammen. Welche Aspekte dieser Zusammenarbeit sind für Sie besonders wichtig?

Zum einen haben wir eine gemeinsame Schnittstelle: Die Studenten, die uns mit einer fertigen Ausbildung verlassen, gehen zum EMR, um sich dort mit ebendieser Ausbildung zu registrieren. Je mehr man miteinander redet, umso besser kann man die Prozesse bei diesem Übergang aufeinander abstimmen und so Schwierigkeiten vermeiden oder beseitigen. Ein Beispiel ist die Frage nach der Anrechnung fremder Lernleistungen, die wir mittlerweile gemeinsam gelöst haben.

Zum anderen geht es um die Zukunft: Wie entwickelt sich der Markt? Wie viele Therapeuten werden die neuen Berufsabschlüsse anstreben? Wird es weiterhin einen sogenannten Zweitmarkt geben? Diese Fragen sind für die Schulen und das EMR gleichermassen spannend und wir sehen in einer guten Zusammenarbeit ein grosses Potenzial für die Zukunft. Ich denke, wir müssen uns als Branche verstehen und ein gemeinsames Branchenverständnis entwickeln. Dann können wir zusammen Mechanismen erarbeiten, um die Entwicklungen bewusster steuern zu können.


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