Newsletter April 2017

Lebenslang lernen – Weshalb Fortbildung in jedem Alter wichtig ist

Ein wichtiges Qualitätsmerkmal des EMR-Labels ist die Pflicht zur regelmässigen Fort- und Weiterbildung. In diesem Zusammenhang erreicht uns immer wieder die Frage, ob man als Therapeutin oder Therapeut ab einem gewissen Alter von der Fort- und Weiterbildungspflicht befreit werden kann. Die Antwortet auf diese Frage lautet aus unserer Sicht klar: Nein. Die jährliche Fort- und Weiterbildung ist ein wichtiges Kriterium für die Erneuerung des EMR-Qualitätslabels und gilt als solches für alle registrierten Therapeutinnen und Therapeuten gleichermassen, unabhängig vom Lebensalter.

Darüber hinaus profitieren Sie als Therapeutin oder Therapeut – und nicht zuletzt auch Ihre Patienten – auf unterschiedliche Art und Weise davon, dass Sie Ihre beruflichen Kompetenzen immer auf dem neuesten Stand halten. Wie der chinesische Philosoph Laozi sagte: «Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück.»

Vielleicht kennen Sie Gedanken wie «Das lohnt sich nicht mehr in meinem Alter.» oder «Ich habe schon genug Fortbildungen besucht.» – besonders wenn Sie beruflich bereits gut etabliert sind. Doch das Alter ist kein Hindernis, wenn es ums Lernen geht. Im Gegenteil: Wenn Sie auch in fortgeschrittenem Alter stetig weiter lernen, bietet Ihnen dies eine Menge positive Effekte und Erfahrungen.

Entgegen der gängigen Meinung fällt das Lernen älteren Menschen oft leichter als jüngeren. Sie können neue Informationen in ein grösseres Vorwissen einordnen. Und Menschen, die an Bestehendes anknüpfen können, lernen schneller. Das ist wissenschaftlich erwiesen.

Weiterbildung in jedem Alter hat auch gesellschaftliche Funktionen, indem sie zum Wissens- und Erfahrungstransfer zwischen den Generationen beiträgt. In altersmässig heterogenen Lerngruppen profitieren Ältere von Jüngeren und umgekehrt. Die Jüngeren können die Erfahrung der Älteren nutzen und diese wiederum lernen von den Jüngeren neue Herangehensweisen.

Auch neurologisch betrachtet ist es von Vorteil, mit dem Lernen nie aufzuhören. Jens Friebe vom Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen in Bonn schreibt dazu: «Ergebnisse der neuropsychologischen Forschung zeigen, dass Lernen im Alter die individuelle geistige Aktivität fördern, das Wissen aktualisieren, die Reflexivität des Handelns steigern und Kommunikation in sozialen Kontakten verbessern kann.» Auch der bekannte Schweizer Neurologe Lutz Jäncke unterstreicht die positiven neurologischen Effekte des kontinuierlichen Lernens. Das menschliche Hirn sei bis 20 Minuten vor dem Tod durch Lernen formbar. Es könne immer wieder neue Nervenverbindungen herstellen, wenn es dazu angeregt wird.

Wir haben einige Fachleute nach ihrer Meinung zum Thema Lernen im Alter gefragt:

 

PhotoMonique R. Siegel, hat mit 66 Jahren nochmals studiert

«Ein Studium? In Ihrem Alter?»

Nein, diese Frage hat mir niemand gestellt, hätte man aber sicher gerne. Ich hatte einen Hinweis auf den viersemestrigen Master-Studiengang in Angewandter Ethik gesehen und sofort beschlossen: «Das ist etwas für mich!» Bei Studienbeginn war ich 66.

Leicht war es nicht: das erste, sehr schwierige Semester – drei Generationen – weiterhin voll arbeiten – die Diplomarbeit, die ich in letzter Minute elektronisch abgeschickt habe… Doch am Ende wusste ich: Es hat sich gelohnt!

 

PhotoDonatus Berlinger, Psychologe MSc, Leiter Abteilung Erwachsenenbildung PH Luzern

Wie ist es um die Lernfähigkeit ab 60 bestellt?

«Erwachsene sind lernfähig, aber unbelehrbar.» Je älter, desto unbelehrbarer. Lernfähig bleiben Sie aber bis 99 und weit drüber, sofern keine Demenz vorliegt. Sie brauchen für Ihre Lernprozesse lediglich etwas mehr Zeit als die 22-Jährigen (ab da nimmt die Lerngeschwindigkeit ab…). Aber Sie kompensieren dies mit reflektierten Lernstrategien, breitem Weltwissen und einem grossen Erfahrungsschatz. So holen Sie die Jüngeren leicht wieder ein. Ich wünsche Ihnen viel Spass beim lebenslangen Lernen!

 

PhotoDietrich von Bonin, Präsident Qualitätssicherungskommission OdA Artecura

Welchen Einfluss hat eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung auf den beruflichen Qualitätsstand?

Jeder von uns hat Vorlieben, Stärken und Schwächen, die nach meiner Erfahrung als Ü-50 mit dem Alter zunehmen. Deshalb ist für mich persönlich FWB unverzichtbar. Sie gewährt Einblicke in den aktuellen Stand des Wissens und der Methodik im eigenen Fachgebiet. Die Veranstaltungen laden zum Austausch mit anderen Fachpersonen ein und ermöglichen es, das eigene Kompetenzprofil zu reflektieren und zu aktualisieren. Aktive Mitarbeit an einer Fortbildung macht den Schatz der selber erworbenen Kompetenzen auch für andere zugänglich. Der Blick über den eigenen fachlichen Tellerrand hinaus unterstützt die ganzheitliche Beurteilung und Behandlung der Klientel durch eine interdisziplinäre Perspektive. Fokussiertes therapeutisches Handeln basiert auf umfassendem Wissen.

 

PhotoUrs Kalbermatten, Gerontologe

Wenn das EMR die Fort- und Weiterbildungspflicht für Therapeutinnen und Therapeuten ab einem Alter von 60 Jahren streichen würde, was würde das über diese Altersgruppe aussagen?

Dies stellt eine klare Diskriminierung von Mitarbeitenden allein wegen ihres Alters dar. Da im Alter die Teilnahme an Weiterbildung zurückgeht, wäre es sinnvoll, wenn ein Betrieb seine Mitverantwortung wahrnimmt und den älteren Mitarbeitenden den Zugang zu neustem Wissen sowohl fachlich wie auch in Themen des Lebensüberganges zur Pensionierung ermöglicht.

 

PhotoSybille Binder, Zentrumsleiterin NHK (Institut für integrative Naturheilkunde)

Welcher Gewinn ergibt sich für Studierende aus einer altersmässig heterogenen Gruppe?

Eine altersmässig heterogene Gruppe hat mehrere Vorteile. Die Studierenden profitieren gegenseitig von unterschiedlichen Lebenserfahrungen und werden motiviert offen zu bleiben für verschiedene Sichtweisen. Dadurch finden häufig auch sehr spannende Diskussionen statt. Eine altersdurchmischte Gruppe widerspiegelt auch den Praxisalltag besser, denn die angehenden Therapeuten haben Patienten in verschiedenen Altersgruppen – ausser sie spezialisieren sich auf ein Gebiet, aber das tun die wenigsten am Anfang.


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