Newsletter Juli 2017

Grösste Behindertenorganisation arbeitet mit dem EMR zusammen

Pro Infirmis und das EMR sind per 1. Juli 2017 eine Kooperation eingegangen. Das EMR-Qualitätslabel dient der grössten Schweizer Behindertenorganisation als Grundlage für die Beurteilung von Direkthilfe für erfahrungsmedizinische Behandlungen. Der Leiter der Direkthilfe, Christoph Geissbühler, erläutert, warum sich Pro Infirmis für die Zusammenarbeit entschieden hat. Und er legt dar, unter welchen Bedingungen Menschen mit Behinderung finanzielle Hilfe für erfahrungsmedizinische Therapien erhalten.

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Christoph Geissbühler ist Leiter Direkthilfe bei Pro Infirmis.

Herr Geissbühler, Pro Infirmis ist die grösste Schweizer Fachorganisation für Menschen mit einer Behinderung. Welche Bedeutung hat die Erfahrungsmedizin in Ihrem Dienstleistungskatalog?

Pro Infirmis leistet und vermittelt Beratung und Unterstützung für Menschen mit geistiger, körperlicher und psychischer Behinderung und für ihre Angehörigen. Wir setzen uns für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung ein und leisten in diesem Sinn Hilfe zur Selbsthilfe. Menschen in knappen finanziellen Verhältnissen unterstützen wir auch mit finanziellen Direkthilfen. Hauptquelle dafür sind die «Finanziellen Leistungen an Menschen mit Behinderung (FLB)», finanziert vom Bundesamt für Sozialversicherungen. Daneben verfügen wir über weitere Mittel, die aus Spenden oder von anderen Vergabungsorganisationen stammen.

Das Spektrum der an uns gerichteten Finanzierungsanliegen ist sehr breit und reicht von Hilfsmitteln, Entlastungsdiensten und besonderen alltäglichen Auslagen wie z.B. für Möbel bis hin zu alternativ-therapeutischen Behandlungsmethoden.

Gemessen an den rund 17 Millionen Franken, die wir pro Jahr an finanzieller Direkthilfe auszahlen, ist der Anteil, den wir an die Erfahrungsmedizin leisten, mit etwas über 200‘000 Franken eher klein. Für einige unserer Klientinnen und Klienten ist die Erfahrungsmedizin aber von grosser Bedeutung, da sie ihnen einen anderen Weg bietet, um ihre gesundheitliche Situation zu stabilisieren oder zu verbessern.

Weshalb hat sich Pro Infirmis für die Kooperation mit dem EMR entschieden?

Weil wir gegenüber dem Bund (Hauptgeldgeber) und auch unseren Spenderinnen und Spendern in der Verantwortung stehen, legen wir grossen Wert auf Qualitätssicherung. Nebst einem Team von Vertrauensärzten für die individuelle Prüfung setzen wir im Bereich Erfahrungsmedizin zusätzlich auf das EMR. Wir sind auf andere Dienstleistungen spezialisiert und können die Professionalität einer Behandlungsmethode und die Qualifikation der Leistungsanbieter deshalb nicht beurteilen. Aus diesem Grund nutzen wir das Angebot des EMR.

Das EMR-Qualitätslabel ist Voraussetzung für Ihre Unterstützung einer erfahrungsmedizinischen Therapie, stellt aber keine Garantie für finanzielle Beiträge dar. Welche Informationen können Sie den EMR-Therapeuten über die weiteren Bedingungen geben, die dafür erfüllt sein müssen?

Die Patientinnen und Patienten müssen die folgenden Hauptvoraussetzungen erfüllen: Behinderung (Bezug IV-Rente, Taggelder oder Hilflosenentschädigung – oder für eine dieser Leistungen angemeldet), Bedürftigkeit (misst sich an den Richtlinien der Ergänzungsleistungen) und ärztliche Verordnung.

Wichtig ist dabei, dass sich nicht die Therapeutinnen und Therapeuten, sondern die Menschen mit einer Behinderung selbst direkt bei der kantonalen Sozialberatung von Pro Infirmis melden (www.proinfirmis.ch – und dort den entsprechenden Kanton wählen).

Unsere Sozialberatung wird in einem Beratungsgespräch die individuelle Situation abklären. Die Betroffenen müssen dabei bereit sein, ihre finanziellen Verhältnisse offenzulegen und zu dokumentieren.  

Worauf sollten Therapeutinnen und Therapeuten bei der Behandlung von Menschen mit einer Behinderung besonders achten?

Therapeutinnen und Therapeuten sollen Menschen mit und ohne Behinderung gleich behandeln. Es muss ihnen aufgrund ihres Fachwissens und ihrer Erfahrung bei allen Menschen möglich sein, deren individuelle Anliegen richtig einschätzen, verstehen und behandeln zu können. Wenn sie dabei aufgrund der vorliegenden Behinderung an ihre Grenzen kommen, müssen sie damit einen professionellen Umgang finden; sei es, indem sie sich an einen Spezialisten für die entsprechende Behinderung wenden, sich weiterbilden, sich z.B. in einer Supervision die nötige Orientierung holen, sich mit der Behinderung und ihren Auswirkungen vertieft auseinandersetzen oder indem sie die Behandlung beenden, wenn sie damit überfordert sind.

Welche Bedeutung hat für Sie die Erfahrungsmedizin?

Wir verstehen die Erfahrungsmedizin als komplementär zur klassischen Medizin. Wir fordern von der Schul- wie von der Erfahrungsmedizin Professionalität im Umgang mit Menschen mit Behinderung ein und enthalten uns jeglicher Wertung. Es ist eine persönliche Entscheidung, wie man sein Leiden behandeln möchte. In diesem Sinn gilt für Menschen mit Behinderung dasselbe wie für Menschen ohne Behinderung.


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