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Emotionelle Erste Hilfe hilft Familien

Damit erhalten insbesondere Familien mit Babys und Kleinkindern eine auf sie zugeschnittene Therapie: Auf der neuen EMR-Methodenliste für 2022 steht die Emotionelle Erste Hilfe (EEH), Bindungsorientierte Eltern-Kind-Therapie. Sie hilft zum Beispiel, wenn erschöpfte Eltern mit einem Schreibaby nicht mehr weiterwissen.

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Vor allem Familien wenden sich an Therapeutinnen und Therapeuten für die Emotionelle Erste Hilfe (EEH), Bindungsorientierte Eltern-Kind-Therapie, wenn rund um Schwangerschaft und Geburt Belastendes erlebt wurde, das Integration braucht – oder wenn das tägliche Zusammensein mit dem Kind zur Belastung wird.

Es handelt sich um eine körperorientierte Therapie, die darauf abzielt, die Bindungsbereitschaft und Selbstregulationsfähigkeit von Eltern und Kindern zeitgleich zu stärken. Bindung ist ein menschliches Grundbedürfnis und spielt deshalb auch eine grosse Rolle für die Gesundheit. Mit der EEH soll die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind unterstützt, gefördert und wenn nötig wieder aufgebaut werden.

Die EEH unterstützt Eltern, sich selber in einer schwierigen Situation besser zu verstehen, die Verbindung zum dazugehörigen Körpererleben zu knüpfen und dadurch die Wahrnehmungs- und Selbstanbindungsfähigkeit zu stärken. Auf dieser Basis der Feinfühligkeitsentwicklung gelingt es, die Kontakt -und Beziehungsfähigkeit der Eltern und Kinder zu verbessern und zu fördern. Manchmal ist es auch wichtig, mit viel Empathie und Halt das Kind zu begleiten und ihm die Möglichkeit zu geben, belastende Gefühle zum Ausdruck zu bringen und zu integrieren.

Entspannung durch Selbstregulation

Und wie gelingt das? Wichtiger Ansatzpunkt der EEH ist eine stabile Beziehung der Eltern zum eigenen Körper und zu den eigenen Empfindungen. Diese sogenannte Selbstanbindung ist eine wesentliche Voraussetzung für eine tragfähige Beziehung zwischen Eltern und Kind. Im Zentrum der EEH steht die Förderung der Selbstwahrnehmung mit dem Ziel der Stärkung einer gesunden Selbstregulation.

«Es geht darum, dass ich meine Gefühle und Erregungen besser regulieren kann, damit ich einen besseren Umgang damit finde und Wege, um in einen entspannteren körperlichen Zustand zu kommen», erklärt Bettina Meyer-Merkelbach, Präsidentin des EEH-Fachverbands Schweiz. Ein entspannter Körper ist demnach grundlegend für die emotionale Bindungsfähigkeit sowie für die feinfühlige Abstimmung mit dem Kind.

Am Anfang jeder EEH-Therapie steht das abklärende Gespräch, in dem es auch sehr wichtig ist, das elterliche und kindliche Verhalten zu beobachten. Je nach Ausgangslage und festgestellten Spannungs- und Belastungszuständen konzentriert sich die Therapeutin oder der Therapeut dann auf die Eltern, das Kind oder ihre Interaktionsprozesse untereinander.

Häufig ein Teufelskreis

Ein Baby stimmt sich über seine Resonanzfähigkeit, sozusagen seine erste «Sprache», auf den Erwachsenen ab. Ist das Gegenüber entspannt und haltefähig, kann es sich fallen lassen. Ist das Gegenüber angespannt und gestresst, muss es sich selber halten und findet sich ebenfalls im Feld der Anspannung wieder.

Viele Elternanliegen drehen sich um die klassischen Regulationsthemen wie Schlafen, Schreien und die Nahrungsaufnahme. Eltern fragen sich, was sie falsch machen, sie sind erschöpft, sie machen sich Selbstvorwürfe. Die Hilflosigkeit und Verzweiflung der Eltern wiederum führt zu Stress, Belastung und körperlicher Anspannung. So befinden sich oft die Babys und die Eltern in einem Teufelskreis von Anspannung, Angst und Bindungsschwächung.

Den einfachsten Zugang, um den Kreislauf zu durchbrechen, finden die EEH-Therapeutinnen und -Therapeuten über den Körperbezug. «Wenn wir bei einem Baby eine Verspannung oder Überspannung feststellen, stehen uns zahlreiche Werkzeuge zur Verfügung, um es zu entlasten – zum Beispiel eine haltgebende Berührung oder eine Massage», erläutert Bettina Meyer-Merkelbach.

Und wie helfen EEH-Therapeutinnen oder -Therapeuten einer Mutter? Dazu sagt Bettina Meyer-Merkelbach: «Wir legen zum Beispiel eine Hand in den Rücken und lenken so die Aufmerksamkeit der Mutter, damit sie ihren Körper spürt und dadurch merkt, was sich in ihr alles tut, wie angestrengt oder erregt sie ist. Durch das Anerkennen des eigenen Zustandes in Kontakt mit dem stabilen Gegenüber der Therapeutin oder des Therapeuten kann die Mutter diese Spannungs- und Haltemuster loslassen.»

Auf das autonome Nervensystem ausgerichtet

Zu den Werkzeugen der EEH zählen auch die Atmungslenkung, Bindegewebsarbeit oder das Visualisieren von schwierigen Situationen, um ein Mittel zu finden, mit diesen umzugehen. Die EEH ist dabei stark auf das autonome Nervensystem ausgerichtet. Wenn jemand vor allem im Familienkontext wieder kontaktbereiter wird und mehr Verbindung zu sich selbst und zum Gegenüber hat, wirkt das wiederum auf das ganze System entspannend. Und dies fördert die Pulsationsfähigkeit des autonomen Nervensystems, wodurch sich die Körperregulationen verbessern, sich ein Sicherheitserleben einstellt und das soziale Nervensystem, das für die Eltern-Kind-Interaktion grundlegend wichtig ist, wieder zur Verfügung steht.

Eine grosse Stärke der EEH ist laut Bettina Meyer-Merkelbach das ausgeprägte individuelle Eingehen auf die Person und die Situation: «Wir sind sehr geschult zu erkunden, wo der einzelne Körper oder auch das Familiensystem Stresssymptome zeigt. Und wir können zum Beispiel auch sehr gezielt mit einer Mutter eine Idee erarbeiten, wie sie in der jeweiligen Belastungssituation eine Stressdynamik und Überspannung erkennt und löst.»

Es gibt in der Schweiz rund 80 EEH-Therapeutinnen und -Therapeuten. Diese sind vor allem in den Regionen um die grossen Städte in der Deutschschweiz tätig, und ausserdem im Tessin. In der Westschweiz erwacht jetzt das Interesse an dieser neuen EMR-Methode.


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